S07E09: PHILOSOPHICUM: Welche Rolle spielt der Zufall? (#75)
Worum geht's in dieser Folge?
Diese Folge ist eine Ausgabe des allseits beliebten Philosophicums. Im Philosophicum versuche ich ja, mich etwas grundsätzlicheren Fragen zu beschäftigen und lade dich dazu ein, mit mir ein bisschen nachzudenken. Im Philosophicum geht es nicht um konkrete Tipps oder fix-fertige Lösungen, sondern eher um die Fragen, die mich - und vielleicht auch dich - beschäftigen.
Die Frage dieses Philosophicums lautet: Welche Rolle spielt eigentlich der Zufall in unseren Personal Projects?
Das ist eine Frage, die mich schon lange umtreibt. Weil es ist ja so: Auf der eine Seite sage ich - und davon bin ich überzeugt -, dass die Art und Weise, wie wir die großen und kleinen Projekte in unserem Leben managen, einen großen Einfluss auf unser Leben haben - und besonders auf das, was wir „Glück“ nennen. Ich sage also, wir haben es zu einem guten Teil selbst in der Hand, ob wir unser Leben als gelungen, als glücklich, als sinnvoll empfinden. Davon bin ich fest überzeugt, und deswegen gibt es auch diesen Podcast, weil ich eben glaube, dass wir mit cleverem Personal Project Management unser Leben besser im Griff haben.
Und dennoch… und das ist auch ein unumstößliches Faktum: Das Leben lässt sich nicht kontrollieren. Das Leben richtet sich nicht nach unseren Plänen, auch nicht nach den Projektplänen unserer Personal Projects. Personal Project Management findet also immer in einem Spannungsfeld statt - nämlich dem Spannungsfeld des Lebens, das sich an und für sich nicht planen lässt und dem Spielraum für unseren eigenen Willen, unsere Kreativität und unseren Gestaltungswillen, den wir unbestritten auch haben - sicher eingeschränkt, aber er ist da.
Und in dieses Spannungsfeld will ich heute ein bisschen eintauchen. Wie spielen also das unberechenbare Leben und unser Personal Project Management zusammen? Und ein Kreuzungspunkt, wo sich diese beiden Lebenslinien treffen, ist der Zufall. Der Zufall, diese magischen Momente im Leben, wo etwas passiert, mit dem wir nicht gerechnet haben. Jene zufälligen Ereignisse oder Begegnungen, die unser Leben für immer verändern. Zufälle haben keinen Platz in Projektplänen, und doch dürfen wir immer wieder mit ihnen rechnen.
Natürlich habe ich auf diese Frage keine fix-fertigen definitiven Antworten. Darum geht es im Philosophicum auch gar nicht. Ich finde Fragen ja sowieso viel interessanter als Antworten. Ich will dir deswegen heute vier Gedanken dazu mitgeben, sozusagen als Schlaglichter auf das Thema. Gänzlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber vielleicht gerade deswegen interessant und inspirierend für dich.
(1) Schlaglicht: Wie Brian Little die Personal Projects fanden.
Ich finde ja großartig, dass der Zufall eine ganz, ganz zentrale Rolle gespielt hat dabei, dass die Personal Project Theorie überhaupt entwickelt wurde. Als ich Brian Little, den Godfather der Personal Project Theorie, interviewt habe, habe ich auch über diesen Aspekt mit ihm gesprochen. Du kannst das komplette Interview mit ihm gerne nachhören, ich verlinke das auch in den Show Notes, ist wirklich sehr inspirierend… Jedenfalls möchte ich dir hier kurz vorlesen, wie Brian Little im Interview die Geschichte erzählt hat, wie er die Personal Projects gefunden hat - oder besser gesagt, wie sie ihn gefunden haben:
„Ein entscheidender Punkt war, als ich noch Student war und ich auf dem Gebiet der Neuropsychologie arbeitete. Ich war gerade dabei, nach Berkeley zu
Worum geht's in dieser Folge?
Diese Folge ist eine Ausgabe des allseits beliebten Philosophicums. Im Philosophicum versuche ich ja, mich etwas grundsätzlicheren Fragen zu beschäftigen und lade dich dazu ein, mit mir ein bisschen nachzudenken. Im Philosophicum geht es nicht um konkrete Tipps oder fix-fertige Lösungen, sondern eher um die Fragen, die mich - und vielleicht auch dich - beschäftigen.
Die Frage dieses Philosophicums lautet: Welche Rolle spielt eigentlich der Zufall in unseren Personal Projects?
Das ist eine Frage, die mich schon lange umtreibt. Weil es ist ja so: Auf der eine Seite sage ich - und davon bin ich überzeugt -, dass die Art und Weise, wie wir die großen und kleinen Projekte in unserem Leben managen, einen großen Einfluss auf unser Leben haben - und besonders auf das, was wir „Glück“ nennen. Ich sage also, wir haben es zu einem guten Teil selbst in der Hand, ob wir unser Leben als gelungen, als glücklich, als sinnvoll empfinden. Davon bin ich fest überzeugt, und deswegen gibt es auch diesen Podcast, weil ich eben glaube, dass wir mit cleverem Personal Project Management unser Leben besser im Griff haben.
Und dennoch… und das ist auch ein unumstößliches Faktum: Das Leben lässt sich nicht kontrollieren. Das Leben richtet sich nicht nach unseren Plänen, auch nicht nach den Projektplänen unserer Personal Projects. Personal Project Management findet also immer in einem Spannungsfeld statt - nämlich dem Spannungsfeld des Lebens, das sich an und für sich nicht planen lässt und dem Spielraum für unseren eigenen Willen, unsere Kreativität und unseren Gestaltungswillen, den wir unbestritten auch haben - sicher eingeschränkt, aber er ist da.
Und in dieses Spannungsfeld will ich heute ein bisschen eintauchen. Wie spielen also das unberechenbare Leben und unser Personal Project Management zusammen? Und ein Kreuzungspunkt, wo sich diese beiden Lebenslinien treffen, ist der Zufall. Der Zufall, diese magischen Momente im Leben, wo etwas passiert, mit dem wir nicht gerechnet haben. Jene zufälligen Ereignisse oder Begegnungen, die unser Leben für immer verändern. Zufälle haben keinen Platz in Projektplänen, und doch dürfen wir immer wieder mit ihnen rechnen.
Natürlich habe ich auf diese Frage keine fix-fertigen definitiven Antworten. Darum geht es im Philosophicum auch gar nicht. Ich finde Fragen ja sowieso viel interessanter als Antworten. Ich will dir deswegen heute vier Gedanken dazu mitgeben, sozusagen als Schlaglichter auf das Thema. Gänzlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber vielleicht gerade deswegen interessant und inspirierend für dich.
(1) Schlaglicht: Wie Brian Little die Personal Projects fanden.
Ich finde ja großartig, dass der Zufall eine ganz, ganz zentrale Rolle gespielt hat dabei, dass die Personal Project Theorie überhaupt entwickelt wurde. Als ich Brian Little, den Godfather der Personal Project Theorie, interviewt habe, habe ich auch über diesen Aspekt mit ihm gesprochen. Du kannst das komplette Interview mit ihm gerne nachhören, ich verlinke das auch in den Show Notes, ist wirklich sehr inspirierend… Jedenfalls möchte ich dir hier kurz vorlesen, wie Brian Little im Interview die Geschichte erzählt hat, wie er die Personal Projects gefunden hat - oder besser gesagt, wie sie ihn gefunden haben:
„Ein entscheidender Punkt war, als ich noch Student war und ich auf dem Gebiet der Neuropsychologie arbeitete. Ich war gerade dabei, nach Berkeley zu gehen, um eine Studie über die Gehirne kleiner Nagetiere zu machen. Ich suchte nach einem Atlas des Gehirns, den ich für eine Analyse brauchte, die ich gerade machte. Ich streckte mich in der Bibliothek des Colleges hoch, aber statt des Atlas des Gehirns erwischte ich ein falsch abgelegtes Exemplar eines Buches von George Kelly namens „The Psychology of Personal Constructs“. […]
Also fing ich an zu lesen - es war nicht das, weswegen ich überhaupt in die Bücherei gegangen war. Ich setzte mich auf den Boden und ungefähr sieben Stunden später stand ich auf und sagte: „Ich möchte keine Rattenhirne studieren. Ich möchte die menschliche Persönlichkeit durch die Brille der Theorie der persönlichen Konstrukte studieren!" Als ich nach Berkeley kam, wechselte ich daher von der Neuropsychologie zur Persönlichkeitspsychologie. [...]
Als ich nach Hause fuhr, wurde mir klar, dass genauso wie die Straße, auf der ich unterwegs war - ich war auf dem Weg nach Berkeley - so ist auch unser Leben oft: Da gibt es Highways und Abfahrten, und es sind nicht die Konstrukte, sondern die Projekte, an denen ich arbeitete, die mir besonders wichtig waren. Es war also auf diesem Highway, als ich anfing, über „erweiterte Akte von persönlich bedeutsamem Verhalten im Kontext", die Definition von Personal Projects, nachzudenken. Das ist meine Geschichte der Personal Projects - zusammen mit einigen anderen Einflüssen. Sie springen auf dich zu. Es ist, wie du sagst - Projekte wählen manchmal dich.“
Also fing ich an zu lesen - es war nicht das, weswegen ich überhaupt in die Bücherei gegangen war. Ich setzte mich auf den Boden und ungefähr sieben Stunden später stand ich auf und sagte: „Ich möchte keine Rattenhirne studieren. Ich möchte die menschliche Persönlichkeit durch die Brille der Theorie der persönlichen Konstrukte studieren!" Als ich nach Berkeley kam, wechselte ich daher von der Neuropsychologie zur Persönlichkeitspsychologie. [...]
Als ich nach Hause fuhr, wurde mir klar, dass genauso wie die Straße, auf der ich unterwegs war - ich war auf dem Weg nach Berkeley - so ist auch unser Leben oft: Da gibt es Highways und Abfahrten, und es sind nicht die Konstrukte, sondern die Projekte, an denen ich arbeitete, die mir besonders wichtig waren. Es war also auf diesem Highway, als ich anfing, über „erweiterte Akte von persönlich bedeutsamem Verhalten im Kontext", die Definition von Personal Projects, nachzudenken. Das ist meine Geschichte der Personal Projects - zusammen mit einigen anderen Einflüssen. Sie springen auf dich zu. Es ist, wie du sagst - Projekte wählen manchmal dich.“
Was für ein Zufall… Ein falsch abgelegtes Buch, das Brian Little zufällig in die Hände fällt, hat es überhaupt erst ermöglicht, dass wir uns in diesem Podcast über Personal Projects unterhalten.
(2) Schlaglicht: Das Serendipitäts-Prinzip
Ich möchte als nächstes über das so genannte Serendipitäts-Prinzip sprechen. Serendipity, das ist ein englischer Begriff, den der amerikanische Soziologe Robert Merton in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht hat. Serendiptiy oder Serendipität, das ist das Prinzip des „glücklichen Zufalls“. Manchmal entstehen die besten Sachen aus reinem Zufall heraus.
Eines der bekanntesten Bespiele für Serendipität ist die so genannte „Entdeckung Amerikas“ durch Christoph Columbus im Jahr 1492. Was wollte Christoph Columbus eigentlich? Wissen wir aus dem Geschichte-Unterricht: Einen anderen Seeweg nach Indien finden. Er wollte nach Indien, angekommen ist er auf den Bahamas. Da ist wohl ein Personal Project komplett schief gegangen - aber herausgekommen ist ein Projekt, das noch viel besser war als das ursprünglich geplante.
Weitere Bespiele für Serendipität sind die Erfindung des post-its, die Entdeckung von Penicilin, von Silikon, die Erfindung des Klettverschlusses und sogar die Erfindung des von mir heiß geliebten Teebeutels. Immer wollten deren Entdecker eigentlich etwas ganz Anderes, aber Serendipität wollte es, dass sie etwas fanden, womit sie nie im Leben gerechnet hatten. Brian Little greift nach dem falschen Buch… wahrscheinlich auch ein Fall von Serendipität.
Und wenn du jetzt so in deinem eigenen Leben ein bisschen nachforscht… Vielleicht fallen dir da ebenfalls Beispiele für Serendipität ein. Momente des glücklichen Zufalls, wo du eigentlich etwas ganz anderes wolltest, die größten Besonderheiten in deinem Leben entstanden sind. Bei mir ist das definitiv so. Von Peter Cornelius gibt es ein Lied, das heißt „Zufällig“, und da geht es darum, dass auch die Liebe zwischen zwei Menschen scheinbar zufällig entstehen kann. Ja, das soll auch im echten Leben schon vorgekommen sein.
(3) Schlaglicht: Der Zufall begünstigt einen wachen Geist.
„Der Zufall begünstigt einen wachen Geist.“ Das ist ein Zitat, das Louis Pasteur zugeschrieben wird - der französische Chemiker, der der Menschheit so großartige Dinge wie die Pasteurisierung und die Tollwutimpfung und viel mehr hinterlassen hat. Genauer genommen hat er gesagt: „Der Zufall begünstigt nur den vorbereiteten Geist.“
Der Zufall begünstigt also nur einen Geist, der auch vorbereitet ist. Von nichts kommt nichts. Für den glücklichen Zufall muss man also auch empfänglich sein. Man muss ihn überhaupt erst mal wahrnehmen können. Man muss hinsehen, hinhören, hinspüren können, wenn sich der glückliche Zufall in unserem Leben zeigt. Niemand von uns weiß, wie oft wir den glücklichen Zufall schon verpasst haben, weil wir in dem Moment gerade mit anderen Dingen beschäftigt waren, weil wir in dem Moment nicht erkannt haben, welches Geschenk wir da gerade bekommen könnten.
Der Zufall hat es also nicht ganz leicht mit uns. Oder, anders formuliert: Der Zufall braucht unsere Mithilfe. Er braucht uns, damit er in unserem Leben wirken kann. Wir müssen den Zufall wahrnehmen, und wir müssen den Moment auch ergreifen. Wenn Brian Little das falsch eingeordnente Buch in der Bibliothek einfach zur Seite legt, es nicht weiter beachtet, und weitersucht nach dem Buch, das er eigentlich finden wollte… dann findet der glückliche Zufall gar nicht statt. Im Moment des Zufalls eröffnet sich also sowas wie eine Möglichkeit, den Lauf des eigenen Lebens zu verändern. Aber wenn wir diese Möglichkeit nicht aufgreifen, und zwar in den paar Sekunden, wo dieses „window of opportunity“ offen steht, dann ist diese Möglichkeit auch wieder weg, von uns völlig unbemerkt.
Wir können nur froh sein, dass wir nicht wissen, wie viele tolle Gelegenheiten uns der Zufall schon hätte schenken wollen, die wir nicht mal wahrgenommen haben.
(4) Nicht Menschen haben Ideen, sondern Ideen haben Menschen.
Das ist ein Gedanke, er auf Carl Gustav Jung, den Schweizer Psychoanalytiker zurückgeht und den ich bei Jordan Peterson kennengelernt habe. Und es ist ein erstaunlicher Gedanke! Was wäre, wenn es alle Ideen, die es auf der Welt geben kann, schon irgendwo, irgendwie existieren? Alles, was Menschen denken können, alles, was sie erfinden können, das alles ist schon da - und wartet nur darauf, die richtigen Menschen zu finden, die diese Idee zu ihrer machen.
Was also, wenn die Idee, dass es Personal Projects gibt und dass Personal Projects enormen Einfluss auf unser Glücksempfinden haben, was ist also, wenn diese Idee schon lange existiert hat, bevor sich Brian Little damit beschäftigt hat? Was ist also, wenn nicht Brian Little die Personal Projects Theorie erfunden hätte, sondern die Personal Projects Theorie Brian Little gefunden hätte - also quasi ihn ausgesucht hätte, diese Idee in die Welt zu bringen, sich mit ihr zu beschäftigen, sie in Worte zu fassen und sie anderen Menschen näher zu bringen.
Und wenn das so ist… Kann man dann noch von einem Zufall sprechen? Wenn Brian Little den glücklichen Moment in der Bibliothek nicht wahrgenommen hätte, wäre es dann nicht möglich, dass diese Idee noch andere Mittel und Wege gefunden hätte, um Brian Little auf sich aufmerksam zu machen? Kann es sein, dass die Idee nicht locker gelassen hätte, bis Brian Little sie wahrgenommen hätte… in einem Moment, wo sein Geist wach oder vorbereitet genug war, um das „window of opportunity“ zu erkennen?
Und würde das nicht auch bedeuten, dass der Zufall nichts Anderes ist als ein Bote unseres Schicksals? Aber wenn es sowas wie Schicksal gibt, wo ist dann noch Platz für Personal Projects?
Vielleicht ist DAS eine Antwort: Es könnte sein, dass der Zufall unsere Personal Projects braucht. Der Zufall kann nur IN unseren Personal Projects wirken. Der Zufall entsteht eben NICHT im luftleeren Raum. Er entsteht NICHT aus heiterem Himmel. Sondern er entsteht, wenn in uns schon etwas da ist. Dieses Etwas, das da sein muss… dieses Etwas, das können wir Personal Project nennen. Der Zufall wirkt also nur im Rahmen unserer Personal Projects, und beide sind voneinander abhängig: Der Zufall braucht unsere Personal Projects, um in unserem Leben zu wirken, und unsere Personal Projects brauchen den glücklichen Zufall, damit wir in unserem Leben Dinge vollbringen können, die wir uns beim besten Willen nie vorstellen hätten können.